[section_header use_decoration=“1″ layout_type=“section-heading-thick-border“ separator_position=“left“ main_heading=“TABLETS IN KINDERHÄNDE ODER ZURÜCK NACH BULLERBÜ?“ text_align=“left“ font_size=“default“ font_style=“default“ color=“#000000″ separator_color=“#000000″]Wer sich mit Kindern und Medien auseinandersetzt, landet früher oder später bei der Frage: Ab wann sollte Medienerziehung passieren? Das scheint auch die Kernfrage – oder besser – Kernsorge vieler Eltern zu sein. Besonders in Hinblick auf die „Tabletisierung“ macht das Thema Medienerziehung auch vor KiTas keinen Halt und die digitale Medienerziehung in der frühen Kindheit gelangt in letzter Zeit verstärkt in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Immer wieder bestimmt eine Frage diese Diskussion: Sollten digitale Medien wirklich schon in das Leben von Kleinkindern Einzug halten? Tablets für alle oder zurück nach Bullerbü?
16. Oktober 2015, 7.00 Uhr, Regen. Ich bin auf dem Weg nach Hamburg. Genauer gesagt zur Fachtagung mit dem Titel „Frühe Kindheit und Medien 2015 – Spannend und bedeutend oder entbehrlich und riskant? Digitale Medien und pädagogische Professionalität in der Kita„, oranisiert von der HAW Hamburg in Kooperation mit der medien- und kulturpädagogischen Institution Blickwechsel e. V.. Wie der Titel erahnen läßt, geht es um Medienerziehung in der frühen Kindheit und – laut Tagungsbeschreibung – um die „medienpädagogischen Einstellungen und Überzeugungen pädagogischer Fachkräfte sowie auf ihren Aus- und Weiterbildungsbedarfen“. Aha. Eigentlich nicht mein Thema, schließlich bin ich weder pädagogische Fachkraft, noch liegt der Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeit auf der frühkindlichen Medienerziehung, sondern auf dem Perspektivwechsel. Aber der fängt ja irgendwo an. Genauso wie Medienerziehung. Und die beginnt meistens schon sehr früh. Oder besser: Sollte früh beginnen.
Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Während die einen ihre Kinder bewusst schon früh mit digitalen Medien in Berührung bringen (und dafür von anderen Eltern meist mit Blicken aus Vorwurf und Mitleid gestraft werden), wünschen sich die anderen eine möglichst medienfreie KiTa-Zeit. Schließlich kommen die lieben Kleinen noch früh genug mit der bösen Technik-Welt in Berührung. In der KiTa sollen sie gefälligst im Matsch spielen, Kartoffeldrucke machen und Wimmelbücher angucken. Vielleicht ein Hörspiel. Das reicht dann aber auch. Aber warum eigentlich? Denn: Irgendwann wollen Kinder die Medienwelt für sich erobern – ohne Mama und Papa. Und solange Eltern ihre Kinder noch medial begleiten können, sollten sie das auch tun. Möglichst mit Unterstützung der Einichtung. Im besten Fall entsteht so ein Kommunikations-Dreieck zwischen Eltern, Pädagogen und Kindern. Nur erweist sich genau das als schwierig. Aus verschiedenen Gründen: Zum einen fehlt es den Einrichtungen häufig schlicht an technischer Ausstattung und medienbezogene Vorkenntnisse der pädagogischen Fachkräfte. Zum anderen verhindern Einstellungen zu den Medien, mangelnde Sicht am Bedarf von Medienerziehung und fehlende Kompetenzen der Fachkräfte in Bezug auf Medienarbeit in Kitas. Dabei bedingt das eine das andere. Dabei sind alle Argumente gegen die frühkindliche Sicht zunächst einmal stichhaltig und nachvollziehbar: Eine möglichst medienfreie Kindheit liegt begründet in der oft von Angst gekennzeichneten Auffassung über Medien und insbesondere digitale Medien. Geschürt durch Psychologen, Augenärzte, Physiotherapeuten und Verhaltenstherapeuten. Da gerade die risikobehafteten Aussagen großen medialen Anklang finden, landen auch gerade diese Horrorszenarien in die Öffentlichkeit: Ein zu früher Umgang mit Tablets und Co. raube dem Kind die Talente, die Nutzung digitaler Medien führe zu Kurzsichtigkeit und dass sie dick, dumm und aggressiv machen, ist hinlänglich bekannt.
Pädagogen wiederrum stehen unter dem Druck der elterlichen Erwartungshaltung – schließlich tragen sie eine große Verantwortung: Ihnen wird vertraut, dass sie das Richtige tun. Und weil es den Fachkräften häufig an medialer Kompetenz fehlt oder sie die gleiche risikobehaftete Auffassung von Medien vertreten, ist die Negierung der frühkindlichen Medienerziehung die logische Konsequenz – die KiTa bleibt weiterhin technik-frei. Und ohne Technik eben keine Medienerziehung. So einfach ist das. Ein Kreislauf, den man nur schwer durchbrechen kann. Oder?
Laut Prof. Friederike Tilemann von der PH Zürich ist es tatsächlich nicht so kompliziert. Im Kanton Zürich beginnt die Vermittlung von Medienkompetenz nämlich schon im KiTa-Alter. Auch ohne Technik. Denn Medienerziehung muss nicht zwangsläufig das Bedienen des Tablets beinhalten. Sie sagt:
Das Kind sollte im Zentrum der Medienerziehung stehen. Nicht die Medien.
Und das bedeutet vor allem, dass KiTa und Kindergarten ein Ort sind, an dem Medienerfahrungen verarbeitet werden können. Dass das höchst individuell ist, liegt auf der Hand. Und so gilt es, Strategien und Konzepte zu entwickeln, die Kinder dazu befähigen, Medien als Medien zu verstehen. Gefühle, die durch Medien entstehen, zu verstehen und Erlebnisse und Fantasien, die mit und durch Medien enstehen, zu verarbeiten. An dieser Stelle wird deutlich, dass es bei frühkindlicher Medienerziehung keineswegs um den Einzug von Tablets gehen muss. Womit das Argument der fehlenden Technik als Totschlag-Argument wohl außer Kraft gesetzt wäre. Vielmehr geht es darum, den Kindern zu zeigen, dass ein Film eine konstruierte Geschichte ist, dass keine kleinen Menschen in dem Kasten wohnen und dass die einen auch nicht beobachten können. All das sind durchaus Gedanken und Ängste, die Kinder haben können – sogar durch den Fernseher, den wir als Medium doch alle meinen, zu kennen und zu durchschauen. So bringt das Basteln eines Daumenkinos oder das Anfertigen eines Storyboards das Kind sehr viel weiter in Punkto Medienverständnis. Wenn dann ein Tablet dazu kommt, ist das prima und wünschenswert. Dann können die Kinder auch gleich den Unterschied zwischen analogem und digitalem Malen erfahren und verstehen, dass simulierte Regentropfen auf dem Tablet zwar echt aussehen, aber die echten Regentropfen noch viel mehr Eigenschaften aufweisen. Sie können verstehen, dass man mit dem Tablet tolle Dinge machen kann, die man im analogen auch machen kann, sich aber dennoch unterscheiden.
Kinder haben ein Recht auf Medienerziehung. (Prof. Friederike Tilemann, PH Zürich)
Und letztendlich geht es darum, Medien sinnvoll in die die Lebenswelt der Kinder zu integrieren – und die Lebenswelt von Kindern im Jahr 2015 ist eben nicht die Lebenswelt von den Kindern aus Bullerbü. Heute gibt es Smartphones, Tablets, Konsolen und Co. – sie erleichtern uns den Alltag, sie tragen zur Freizeitgestealtung bei, sie verändern unsere Arbeits- und Lebenswelt und sind somit fest in unserer Gesellschaft verankert. Was also haben wir davon, wenn wir Kinder möglichst lange davor beschützen wollen, damit sie dann mit 10 oder 11 mit dem ersten eigenen Smartphone komplett überfordert sind? Und zwar nicht technisch überfordert, denn darin sind die Kids in der Regel schneller als wir, sondern überfordert, was die Reflexion der Inhalte angeht. Dann passieren nämlich genau die Dinge, vor denen es Eltern zu Recht graut: In-App-Käufe, stundenlanges „daddeln“, Sexting, unreflektiertes Posten von Selfies, Kontakt zu Fremden bis hin zu Cybermobbing. Wir tun also gut daran, die Kinder aus Bullerbü zu befreien und sie fit für die Welt zu machen. Das tun wir schließlich auch in allen Dingen des täglichen Lebens – warum also vor den Medien Halt machen?