[section_header use_decoration=“1″ layout_type=“section-heading-thick-border“ separator_position=“left“ main_heading=“VERKLICKT? RUF DIE POLIZEI. DIE WEISS RAT – TEIL II“ text_align=“left“ font_size=“default“ font_style=“default“ color=“#000000″ separator_color=“#000000″]Wenn es um die Förderung von Medienkompetenz geht, ist man in Niedersachsen sehr bemüht: Es werden Konzepte entwickelt, Meilensteine festgelegt und Tagungen zum Austausch realisiert. Beim Tag der Medienkompetenz Anfang November in Hannover konnten Akteure der Medienkompetenzvermittlung Anregungen zum „Lernen und Leben mit digitalen Medien“ finden. Dabei schien es vor allem wichtig, die Risiken des WorldWideWeb immer und unter allen Umständen im Auge zu behalten. Denn digitale Medien sind vor allem eins: Problembehaftet. Manch einer würde da das Internet am liebsten wieder löschen…
Wenn ich als Teenager meiner modebewussten Oma ein neues Kleidungsstück gezeigt habe, hat sie meistens freudig triumphiert: „Sowas hatten wir früher schon. Kommt alles wieder!“
Was für Schlaghosen gilt, scheint auch auf andere Bereiche übertragbar. Auf Themen öffentlicher Diskurse zum Beispiel. In diesem Fall auf das Thema Medien: Immer, wenn ein neues Medium aufkommt, entfacht eine Diskussion über mögliche Risiken. Es geht um Probleme, die erkannt und eliminiert oder zumindest vermieden werden müssen. Immer wieder bewährt hat sich dabei die strikte Begrenzung des Mediengebrauchs: Je weniger Gebrauch, desto weniger Risiken. Und wenn schon Gebrauch, dann wenigstens mit Fokus auf die zu vermeidenden Probleme. Ein Muster, das sich vom Buchdruck bis zu den digitalen Medien wacker gehalten hat. An sich erst mal nichts Verwerfliches, denn Vorsicht ist besser als Nachsicht und wer vorsichtig durch’s digitale Leben geht, dem passiert auch nicht soviel. Weniger Fehler gleich ruhigeres Leben. Weniger Fehler aber auch gleich weniger Lernen.
Offensichtlich sind die Deutschen besonders vorbildliche Vermeidriane – zumindest ließe sich so die im Ländervergleich nicht sonderlich herausragende Stellung im Hinblick auf Medienkompetenz erklären. Aber weil die Deutschen auch bekannt sind für ihr Pflichtbewusstsein, wird in der Politik die Relevanz der digitalen Medien sehr, sehr ernst genommen. Es werden also Konzepte, Broschüren und Filme entwickelt und produziert, die die lieben Kleinen vor der Medienwelt bewahren sollen, indem sie alle Risiken und Gefahren in roten Buchstaben dick hervorheben. Pädagogen werden zu Medientrainern ausgebildet und in KiTas gelassen, damit sie den Eltern etwas über die böse Medienwelt erzählen. Und wenn man dann nach den Vorteilen der digitalen Medien fragt, wird beschwichtigend einglenkt, dass digitale Medien natürlich auch viel Positives bringen und sie natürlich auch kreative Potenziale haben. Aber eben nur auch. In erster Linie sind sie mal schlecht. Und früher konnte man den Fernsehschrank zumindest noch abschließen.
Versteht mich nicht falsch: Natürlich ist es enorm wichtig, Kinder über die Gefahren, Do’s and Dont’s im Datendschungel aufzuklären und dafür zu sensibilisieren. Und natürlich ist es auch wichtig, Zeiten und Situationen des Mediengebrauchs im Blick zu behalten. Damit sie nicht wahllos Fotos herumschicken, inflationär In-App-Käufe tätigen oder gestresst durch die Flut von WhatsApp Nachrichten sind. Aber der erhobene Zeigefinger hat noch nie etwas gebracht und wird auch hier nicht zum Ziel führen. Da kann man in Infobroschüren das Wort „Problematik“ noch so rot und fett drucken – der Gegenteil von Prävention wird der Fall sein. Denn wenn man mal ehrlich zu sich selbst ist: Hat man als Teenager an die elterlichen Prophezeihungen á la „Fernsehgucken macht dumm“ geglaubt? Natürlich nicht. Und selbst wenn man es geglaubt hätte. Das war uns doch sowas von egal. Was interessierte uns, was irgendwann mal eintreten könnte, wenn doch jetzt unsere Lieblingsserie kommt?
Die vor Kurzem erschienenen Studie „Mediatisierung Mobil – Handy- und mobile Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen“ gibt Aufschluss über die Diskrepanz zwischen den Ängsten der Eltern hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien und den tatsächlich erlebten Risiken der Jugendlichen: Demnach fürchten zwar 38,7 Prozent der Eltern, dass ihr Kind Opfer von Cybermobbing werden könnte, aber 11 Prozent sind tatsächlich Opfer (Knop et al., 2015, S. 135 ff). Eine weitere verbreitete Sorge ist die Geafhr durch Nachrichten von Fremden – darum sorgen sich 43,3 Prozent der Eltern, während der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die tatsächlich Nachrichten von Fremden bekommen haben, bei 27 Prozent liegt (ebd.). Hier stehen die Ängste in deutlicher Diskrepanz zu den erlebten Risiken.
Anders sieht es dagegen bei der unüberlegten Preisgabe von Daten aus: 55,2 Prozent der Eltern sorgen sich und 42,7 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen haben schon mal ohne nach zu denken ihre Daten im Netz geteilt. Dies zeigt, dass das, wovor Eltern ihre Kinder im Allgemeinen schützen wollen und was eben auch in der öffentlichen Diskussion immer wieder betont wird, oft in keinem Zusammenhang mit der Realität steht. Es zeigt aber auch, dass bei Themen wie Datenschutz auf beiden Seiten noch Aufklärungsbedarf besteht: Denn offensichtlich sind Eltern oft selber wenig vertraut mit dem Thema oder wissen nicht, wie sie es ihren Kids beibringen sollen. Oder halten das Thema für nicht relevant, weil Daten zu abstrakt, zu wenig greifbar erscheinen (mehr dazu im Interview mit Wulf Bolte, praemandatum). Aber auch hier würde ein erhobener Zeigefinger wenig Wirkung erzielen. Wichtig ist, dass die Kids verstehen, warum sie achtsam mit ihren Daten umgehen sollen, damit sie einen Sinn dahinter sehen. Und dafür sind zwei Dinge wichtig: Wissen auf Seiten der Eltern und Kommunikation mit dem Kind.
Ersteres gestaltet sich allein schon deshalb schwierig, weil Wissen über digitale Medien noch immer in Risiken und Nebenwirkungen verpackt werden. Nur: Solange der Gebrauch digitaler Medien noch mit dem Genuss von Alkohol verglichen wird, solange immer noch unterschieden wird zwischen der digitalen Welt Internet und der realen Welt und letztere als das einzig Wahre dargestellt wird, solange bei digitalen Spielen immer noch abwertend von „daddeln“ gesprochen wird, kann auch keine zielführende Medienkompetenzvermittlung statt finden.
Wir täten gut daran, digitale Medien als etwas zu betrachten, das eben zu unserer Gesellschaft dazugehört. Denn das Internet löschen geht nun leider nicht mehr. Und zurück zur Wählscheibe will doch auch nicht wirklich jemand…
Quelle:
Knop, Karin; Hefner, Dorothée; Schmitt, Stefanie; Vorderer, Peter: Mediatisierung Mobil. Handy- und mobile Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen. Düsseldorf 2015
Frau Siemer,
Sie machen sich in ihrem Text im Allgemeinen und Besonderen über Risiken für Kinder im Netz lustig. 27% der 8- bis 14jahrigen äußern, dass sie Angst haben vor fremder anonymer Ansprache im Netz. Das ist ein Viertel der Kinder, der drittgrößte Risikowert in der NRW-Studie. Für Sie als Werbefrau ist das vielleicht störend. Für die betroffenen Kinder ist es gefährlich. Glauben Sie wirklich, man könne dies mit ihrem Verweis auf Fortschritt wegwischen? „Weniger Fehler gleich ruhigeres Leben.“ – Das klingt wie, „wo gehobelt wird, fallen nunmal Späne.“ Wenn ich dies sage, meine ich übrigens nicht, das Netz abzuschalten. Wie sollte das gehen, wer sollte so einen Quatsch wollen – außer der Sockenpuppen-Produzent in ihrem Werberkopf? Kinder haben Recht darauf, dass wir ihnen den Weg ins Netz so sicher machen wie irgend möglich. Mit Medienkompetenz allein ist das leider nix zu holen.
Best, Christian Füller
Herr Füller,
nein, ich mache mich nicht lustig. Ich halte den bewahrpädagogischen Ansatz lediglich für nicht zielführend. Und ich möchte die Gefahren keineswegs wegwischen, ich denke nur, dass man mit den Kindern darüber sprechen sollte, anstatt Handy-Verbote auszusprechen. Das denke ich als Medienwissenschaftlerin, die an einer Dissertation zu diesem Thema arbeitet – und nicht als Werbefrau, das bin ich nämlich nicht. Dürfte ihnen ja nicht entgangen sein, wenn sie sich meinen Lebenslauf angesehen haben. Natürlich ist der Artikel überspitzt, aber deswegen gleich beleidigend werden…halte ich auch nicht für zielführend. Ich bin gerne bereit, mich mit ihnen über das Thema auseinander zu setzen. Ich glaube, sie haben da eine Menge Hintergrundwissen, das mir in meiner Dissertation weiterhelfen könnte. Es sei denn, sie sind jetzt so angefressen von diesem Artikel und meiner vermeintlichen Werber-Denke…;)
Beste Grüße,
Catharina Siemer
liebe frau siemer,
es geht nicht um bewahrpädagogik und shcon gar nicht um handyverbvote. ich weiß gar nicht, wie die blauaugen immer drauf kommen, dass kinderschtuz abschalten des netzes UND handyverbot sein sollte. ich war grade heute in einer schule, in der das netz ein seöbstverständliches werkzeug der schüler ist, aber: alle diese kinder bekommen einen eingehenden kurs, damit sie sich sicher im netz bewegen können. d.h. sie versimplifizieren – wie so viele – das thema medienkompetenz. es gibt bei den kids aber eher eine technische und bedien-kompetenz, aber null einschätzungskompetenz. wie soll den ein 11jähiger erkennen, wer hinter einem avatar steckt? wie soll eine 10jährige die grooming-strategien einer abgebrühten tanrkappe durchschauen? loggen sie sich gerne mal bei knuddels als cath14Herz ein – dann können sie ja sehen, was da alles bei ihnen ankommt. ich finde es naiv und unverantwortlich, kindern die verantwortung für anti-grooming-strategien zu hinterlassen. und es ist frech, die hilferufe der kinder, die sie ja durch solche umfragen aussenden, einfach zu übergehen und zu bagatellisieren. sie hören ja den kindern in ihrem text da oben gar zu, sondern sie nehme eine durch und durch paternalistische sichtweise ein – und spielen die übertriebene ängste der elten gegen die der kinder aus. geholfen haben sie am ende keinem: die eltern sind für doof erklärt – und der hilferuf der kinder verhallt erneut. und zwra er von 27 %!
im übrigen müssten sie mir sagen, was sie in ihrer diss machen wollen, dann kann man sehen, ob ich da hilfreich sein kann. pieksen kann ich sie betsimmt 😉
best, cif
Lieber Herr Füller,
ich versimplifiziere nicht – die Blogbeiträge dienen dazu, die verschiedenen Sichtweisen zum Umgang mit digitalen Medien und den Diskurs über Medienkompetenz abzubilden. Dazu gehören zum einen die Interviews mit verschiedenen Akteuren, zum anderen meine Besuche bei Fachtagungen. In diesem Artikel habe ich lediglich meine Sichtweise auf die Tagung in Hannover dargestellt und erweitert. Denn dort wurde die Nutzung digitaler Medien mit dem Genuss von Alkohol verglichen – und das ist meiner Meinung nach eine verkürzte Darstellung. Natürlich müssen Kinder den sicheren Umgang im Netz lernen, da gebe ich ihnen vollkommen recht, das ist ja auch das Ziel meiner Arbeit. Aber viele Materialien heben eben nun mal erst die Probleme hervor und das halte ich für falsch, denn das ist ja genau das, was die Medien auch bei vielen Eltern als schlecht erscheinen läßt. Und das sind sie ja per se nicht. Ich finde es genauso unverantwortlich wie sie, Kinder sich selbst zu überlassen. Nur kommt es eben auf die Herangehensweise an. Wenn es einzelne Schulen gut hinbekommen, ist das großartig, aber das ist ja leider nicht die Regel. Und dann kommt es eben immer noch auf die Inhalte an, die ja auch stark divergieren. Letztendlich kann ich den Risikoapologeten einfach nichts abgewinnen, weil ich noch sehr genau weiß, wie ich selbst als Teeanger zu den Medien stand (dooferweise sehr gutes Gedächtnis). Und deshalb versuchen wir hier zu Hause es mit Erklärungen, was mit einem Youtube-Video passieren kann, wenn man es hochlädt, anstatt einfach zu sagen: Gibt’s nicht.
Und ich sage ihnen gerne, was ich in der Diss mache und schicke ihnen auch gerne mein Exposé zum fröhlichen Pieksen – dass sie das können, hab ich ja nun gemerkt.
Viele Grüße, Catharina Siemer