[vc_row][vc_column width=“1/1″][section_header use_decoration=“1″ layout_type=“section-heading-thick-border“ separator_position=“left“ main_heading=“WIR HATTEN JA NICHTS!DIE LIEBEN ELTERN UND DAS MOBILE GAMING“ text_align=“left“ font_size=“default“ font_style=“default“ color=“#000000″ separator_color=“#000000″][vc_column_text]
Also zu meiner Zeit gab’s das ja noch nicht. Wir hatten drei Fernsehprogramme und dann haben wir mal die Augsburger Puppenkiste geguckt. Das war dann das Highlight. Und ansonsten sind wir eben rausgegangen in die wirkliche Welt. Nicht stundenlang rumdaddeln. Sondern mal auf Bäume klettern.
Immer, wenn ich mich mit Menschen, vorzugsweise Eltern, jenseits der 40 über digitale Spiele und insbesondere Mobile Gaming unterhalte, fallen solche und ähnliche Sätze. Ich frage mich dann immer: Ist das Neid? Oder ist das ein Ausspruch, dass früher alles besser war? Oder aber eine wertneutrale Feststellung wie schnell sich die digitale Welt verändert hat?
Und dass sie sich verändert hat, steht außer Frage. Und zwar enorm. Enorm schnell. Vor 20 Jahren eroberte die erste Playstation den europäischen Markt. Drei Jahre zuvor, nämlich 1992, kam der Super Nintendo auf den Markt. Ich war in der zweiten Klasse, meine erste Spielekonsole sollte ich ein Jahr später bekommen. Allerdings bekam ich den Vorgänger, den NES, nicht den SNES. Nicht, weil meine Eltern zu blöd waren und nicht gecheckt haben, dass es mittlerweile eine coolere Version der Spielekonsole gab. Das wussten sie sehr wohl und waren beim Kauf kurz vor Weihnachten auch stark verunsichert, weil die Tochter ausdrücklich den NES (was ja richtigerweise das NES heißen müsste) als Weihnachts-Wunsch geäußert hatte. Uncool oder cool, die Anschaffung der Konsole beglückte Tochter und Eltern gleichermaßen. Und während der Spielekonsum des Kindes relativ stark reglementiert wurde – schließlich sollte das Kind ja noch raus und auf Bäume und so – nahm das Spielverhalten der Eltern zeitweise exzessive Züge an. Und so kam es schon mal vor, dass die Mutter nächtelang Tetris zockte und der Vater dem Kind gerne bei dem doch relativ komplizierten Zelda half. Nur dann leider oft vergaß, den Controler wieder abzugeben.
Mein bester Kumpel, der ein Jahr älter war als ich, hatte den Super Nintendo. Damit haben wir Super Mario Kart und Tekken gezockt. Merkwürdigerweise hat sich niemand Sorgen darüber gemacht, ob wir durch das Kampfspiel nicht auch selber gewalttätig werden könnten. Und auch Jahre später, als ich auf unserem heimischen Computer Doom spielte (damals 15 Jahre alt) hatte niemand wirklich Sorge, dass ich Amok laufen könnte. Gut, vielleicht weil ich nie zu exzessiven Spielen neigte, mir nach spätestens einer Stunde langweilig wurde oder ich den Controler genervt wegwarf, weil ich verloren hatte. Dennoch scheint es mir, als ob trotz der Gefahren von LAN-Parties, gewalttätigen Egoshootern oder extrem süchtig machenden Spielen, die es ja damals schon gab, nicht eine solche Gaming-Hysterie an den Tag gelegt wurde.
Natürlich gibt es heute mehr Spiele, mehr Spielekonsolen und mehr Möglichkeiten, Geld für Spiele auszugeben – die ständige Verfügbarkeit durch Smartphones und Tablets und die Gefahren durch In-App Käufe, viel Geld auszugeben, tun ihr Übriges. Die Krönung bildet die mediale Berichterstattung, Risiko-Apalogeten, die vor Spielsucht warnen und eine bewahrpädagogische Haltung, die das Klettern auf Bäumen als grundweg positiv darstellt, während digitale Spiele das kindheitsraubende Übel darstellen.
Und ja, keine Frage, es gibt sie, die Gefahren. Natürlich kann man spielsüchtig werden – und das betrifft Erwachsene wie Jugendliche – und möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zwischen gewalttätigen Spielen und einer zunehmenden Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen, die diese Spiele bevorzugen. Aber – und das wird gerne vergessen oder elegant unter den Tisch gekehrt – man muss diese Gefahren auch immer im Kontext betrachten und sich fragen, inwiefern Suchtpotenzial und Gewaltbereitschaft schon vorher da waren. Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Kann ein von Grund ausgeglichener Mensch durch ein gewalttätiges Spiel aggressiv werden? Oder noch weiter: Würde es ein solches Spiel überhaupt wählen? Und was fehlt dem Jugendlichen, der sich bis zur völligen Selbstaufgabe in World of Warcraft verliert? Und: Wieviele In-App Käufe würde ein Kind tätigen, das vorher über eben diese aufgeklärt wurde?
Nicht zuletzt werden in der Diskussion über Risiken und Nebenwirkungen zwei Dinge gerne ignoriert: Das kreative Potenzial von Spielen und der im Menschen tief verwurzelte Spieltrieb. Denn gerade, wenn es um Fragen der elterlichen Verantwortung geht, kann der Blick hinter die Kulissen so manchen Weg bereiten: Zunächst müssen wir verstehen, warum wir so gerne spielen – denn das trifft auf Erwachsene genauso zu, wie auf Kinder. Der Mensch als homo ludens. In eine andere Welt abtauchen, Belohnung erhalten, Anerkennung von Mitspielern erfahren, den stressigen Job, nervige Hausaufgaben oder den Streit mit dem Lehrer vergessen und nicht zuletzt bunte, attraktive Formen und Farben, die grafische Aufmachung der Spielumgebung – das alles fasziniert und fesselt uns. Wer sich der Faszination der digitalen Spielwelt verwehrt, kann nicht nachvollziehen, wie man Stunden vor dem Bildschirm verbringen kann. Und wer nicht versucht, diese Faszination zu verstehen, stößt schnell an die erzieherischen Grenzen. Deshalb hat so manche für Eltern ausgelegte LAN-Party schon das ein oder andere Aha-Erlebnis hervorgebracht. Man muss nicht gleich zum Nerd werden oder sich Clash of Clans herunterladen, aber eine empathische Grundhaltung und ein Verständnis für die Faszination, die von digitalen Spielen ausgeht, würde die Kommunikation im Hinblick auf die heimische Medienerziehung um einiges erleichtern.
Und auch, wenn ich die Vorliebe meines Vaters für die bunte Welt von Candy Crush genauso wenig verstehen kann, wie den Drang, Abend für Abend ein Dorf nach vorne zu bringen, so möchte ich doch meine Faszination für das Aufschichten verschiedenförmiger Steine auch ausleben. Und wenn es nur für eine halbe Stunde ist. Reicht ja auch. Danach geht’s dann auch wieder raus. Auf Bäume klettern.